Betchan LG Urteil rund 5.000 €

[Bereitgestellt: 01.03.2022 12:58]

64 R 98/21s

 

 

 

REPUBLIK ÖSTERREICH

Landesgericht für ZRS Wien

 Im Namen der Republik

Das Landesgericht für ZRS Wien erkennt als Beru- fungsgericht durch den Richter Mag. Eder als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Dr. Längle und Mag. Löschl in der Rechtssache der klagenden Partei nnnnnnnnnnn, Rofan- nnnnnnnnnnnnnnnnnnnn, vertreten durch Dr. Oliver Pe- schel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei N1 Interactive Ltd., 206 Wisely House, Old Bakery Street, VLT1451 Valletta, Malta, vertreten durch Dr. Fabian Maschke, Rechtsanwalt in Wien, wegen € 5.400,– s.A., in- folge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 21.10.2021, 2 C 349/21z- 14, gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Par- tei zu Handen des Klagevertreters die mit € 730,97 be- stimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten

€ 121,83 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist nicht zulässig.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Beklagte ist eine Gesellschaft nach maltesischem Recht und hat ihren Sitz in Malta. Sie verfügt über eine maltesische, aber keine österreichische Glücksspielkon-

 

zession. Sie betreibt ein Online-Casino auf ihrer Homepa- ge und www.betchan.com, auf der sie Online-Glücksspiele anbietet, bei denen die Entscheidung über das Spielergeb- nis ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängig ist. Der in Österreich wohnhafte Kläger spielte in Öster- reich Online-Glücksspiele im Zeitraum vom 15.12.2020 bis 5.1.2021. Er verlor beim Online-Glücksspiel € 5.400,–.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erst- gericht die Beklagte zur Zahlung von € 5.400,– samt 4 % Zinsen seit 28.2.2021 und zum Ersatz der mit € 1.948,59 bestimmten Prozesskosten. Ausgehend von den auf Seite 3 der Urteilsausfertigung (AS 83) wiedergegebenen Feststel- lungen, auf die verwiesen wird und deren wesentlicher In- halt oben wiedergegeben wird, folgerte das Erstgericht rechtlich, dass es sich um ein verbotenes Glücksspiel ge- handelt habe, weil die Beklagte über keine Konzession nach dem Glücksspielgesetz (GSpG) verfüge.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurtei- lung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klags- abweisung; in eventu wird ein Aufhebungs- und Zurückver- weisungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

 

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Berufungswerberin rügt als Mangelhaftigkeit des Verfahrens, dass das Urteil keine eigenen Feststellungen zum Thema Unionsrechtswidrigkeit und keine Beweiswürdi- gung enthalte.

Abgesehen davon, dass die Frage der Unionsrechtswid- rigkeit eine Rechtsfrage ist, die im Rahmen der rechtli-

 

chen Beurteilung zu klären ist, sind fehlende Feststel- lungen grundsätzlich in der Rechtsrüge als sekundäre Feststellungsmängel geltend zu machen.

Unzutreffend ist es, dass die angefochtene Entschei- dung keine Beweiswürdigung enthalte. Hier ist auf Seite 4 der Urteilsausfertigung zu verweisen. Sämtliche für die rechtliche Beurteilung der Streitsache notwendige Fest- stellungen wurden vom Erstgericht getroffen und sind im Großen und Ganzen unstrittig. Diese werden daher vom Be- rufungsgericht übernommen.

Im Rahmen der Rechtsrüge vertritt die Berufungswer- berin die Ansicht, dass das Glücksspielgesetz in seiner momentanen Ausgestaltung unionsrechtswidrig sei und Fest- stellungen zu wesentlichen Verfahrensthemen wie der Über- wachungstätigkeit des Monopolinhabers und zur Kohärenz der Regelungen des Glücksspielmonopols und seiner Anwen- dung fehlen.

Hierzu wird erwogen:

Gemäß § 3 Glücksspielgesetz (GSpG) ist das Recht zur Durchführung von Glücksspielen, soweit in diesem Bundes- gesetz nicht anderes bestimmt wird, dem Bund vorbehalten (Glücksspielmonopol).

Nach §§ 14 ff GSpG kann das Finanzamt Österreich das Recht zur Durchführung der Ausspielungen nach näher ge- setzlich definierter Kriterien durch Erteilung einer Kon- zession übertragen.

Nach der Rechtsprechung des EuGH verfügen die Mit- gliedstaaten im Bereich der Veranstaltung von Glücksspie- len über ein ausreichendes Ermessen, um festzulegen, wel- che Erfordernisse sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben. Soweit die von der Rechtspre- chung des Gerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen im

 

Übrigen beachtet werden, ist es Sache jedes Mitglieds- staates, zu beurteilen, ob es im Zusammenhang mit den von ihm verfolgten legitimen Zielen erforderlich ist, Tätig- keiten in Bezug auf Spiele und Wetten vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu be- schränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollformen vorzusehen (vgl etwa EuGH 30.4.2014, Pfle- ger, C-390/12, Rn 45 mwN). Die Einrichtung einer Monopol- regelung im Glücksspielbereich, die insbesondere den Vor- teil bietet, die Spiellust und den Betrieb der Spiele in kontrollierte Bahnen zu lenken, kann zur Verwirklichung von im Allgemeininteresse liegenden Zielen dienen und in- soweit im Licht des in Art 56 AEUV verbürgten freien Dienstleistungsverkehrs zulässig sein (etwa EuGH 8.9.2010, Markus Stoß ua, C-316/07, Rn 79). Solche „zwin- genden Gründe des Allgemeininteresses“ sind Verbraucher- schutz, Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen (EuGH C-390/12, Rn 41 mwN), wobei Art 56 AEUV einer Rege- lung entgegensteht, die nicht wirklich das Ziel des Spielerschutzes oder der Kriminalitätsbekämpfung verfolgt und nicht tatsächlich dem Anliegen entspricht, in kohä- renter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die mit diesen Spielen verbunde- ne Kriminalität zu bekämpfen (EuGH C-390/12, Rn 56).

Das nationale Gericht hat eine Gesamtwürdigung – im

Licht der konkreten Anwendungsmodalitäten der betreffen- den restriktiven Regelung – der Umstände vorzunehmen, un- ter denen eine solche restriktive Regelung erlassen wor- den ist und durchgeführt wird (EuGH C-390/12 Rn 49). Bei dieser Gesamtwürdigung ist auf alle Umstände Bedacht zu nehmen, unter denen die die Dienstleistungsfreiheit be-

 

schränkenden Bestimmungen des GSpG erlassen worden sind und umgesetzt werden (EuGH C-390/12 Rn 50 und 52); es ist daher nicht nur isoliert ein einzelner Umstand zu be- trachten – etwa eine konkrete Werbetätigkeit -, sondern alle Auswirkungen auf dem Glücksspielmarkt im Sinne der Rechtsprechung des EuGH. Der Ansatz des eine solche Ge- samtwürdigung durchführenden Gerichts darf dabei nicht statisch, sondern muss dynamisch sein, sodass es die Ent- wicklung der Umstände auch nach dem Erlass der betreffen- den Regelung berücksichtigen muss (vgl. EuGH C-390/12 Rn 52 f).

Die von der Beklagten vorgetragenen Argumente führen zu keiner von dieser gefestigten Rechtsprechung abwei- chenden Beurteilung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung des EuGH, wonach die tatsächlichen Auswirkungen des Monopols von den nationalen Gerichten „dynamisch“ zu beurteilen seien (vgl dazu im Detail EuGH 30.6.2016 Rs C-464/15, Admiral, Rn 32 ff), entgegen den Berufungsausführungen keine gleichsam ständige Neubeur- teilung der Auswirkungen in jedem einzelnen Fall erfor- dert, sondern damit lediglich zum Ausdruck gebracht wird, dass nicht bloß statisch auf den Zeitpunkt der Erlassung der Regelung abgestellt werden darf (vgl EuGH C-464/15 Rn 32).

Mit den Werbeaktivitäten der Konzessionäre haben

sich die Gerichte unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH (zuletzt etwa EuGH 6.9.2018 Rs C-79/17, Gmalie- va, Rn 27 ff) bereits umfassend beschäftigt (detailliert etwa VwGH Ra 2018/17/0048 Rn 69 ff). Neue Aspekte zeigt die Beklagte in diesem Punkt nicht auf. Die Höchstgerich- te haben in ihren Entscheidungen zur Unionsrechtskonfor- mität bereits alle wesentlichen Aspekte der Werbeaktivi-

 

täten berücksichtigt. Der Oberste Gerichtshof ging in

4 Ob 31/16m auf Tatsachenebene unter anderem von massiven Werbeinvestitionen von jährlich EUR 40 Millionen bis knapp 50 Millionen aus, berücksichtigte, dass ein breites Publikum angesprochen wird, und die Werbung mit (auch hier von der Beklagten ins Treffen geführten) Slogans wie „Gewinnen macht schön“, „Das Glück steht Ihnen gut“, „Ein Abend so schön wie die Frauen. Mittwoch ist Damentag“, „Frauen haben nicht nur Glück im Spiel“, „Mittwoch packt alle das Diamantenfieber“ warb und wirbt. Der Oberste Ge- richtshof ging außerdem davon aus, dass diese Werbung den Zweck verfolge, insbesondere jene Personen zur aktiven Teilnahme am Spiel anzuregen, die bisher nicht ohne wei- teres zu spielen bereit sind. Obwohl er daher zu Grunde legte, dass mit der Werbung den Spielen ein positives Image zugeschrieben wird, die Werbung die Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften zu erhöhen versucht und bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellt, ging der Oberste Gerichtshof zu 4 Ob 31/16m im Beschluss vom 22.11.2016 nach der Entscheidung des VfGH E 945/2016 von der Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielmonopols aus.

Nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH 6.9.2018 Rs

C-79/17, Gmalieva, Rn 30 und 31) obliegt es dem nationa- len Gericht, anhand der vom Gerichtshof gegebenen Hinwei- se zu bestimmen, ob eine glücksspielrechtliche inner- staatliche Monopolregelung als kohärent im Hinblick auf die Art 56 ff AEUV anzusehen sei (1 Ob 209/18v).

Im besonderen Bereich der Veranstaltung von Glücks- spielen verfügt ein EU-Mitgliedstaat über ein weites Er- messen bei der Festlegung der Anforderungen, die sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben.

 

Sofern die nach der Rechtsprechung des EuGH bestehenden Anforderungen im Übrigen erfüllt sind, ist es Sache jedes Mitgliedstaats, zu beurteilen, ob es im Zusammenhang mit den von ihm verfolgten legitimen Zielen erforderlich ist, Spiel- und Wetttätigkeiten vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollformen vorzusehen; eine innerstaatlich nicht einheitliche Rechtslage führt daher nicht notwendigerweise zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Kohärenz des Gesamtsys- tems. Unionsrechtswidrigkeit bestimmt sich auch nicht da- nach, ob ein Konzessionsverfahren in concreto dem Trans- parenzgebot widersprach, sondern danach, ob für die Kon- zessionserteilung grundsätzlich ein transparentes System und ausreichender Rechtsschutz gegen begangene Verfah- rensverstöße vorgesehen sind. Beides ist nach österrei- chischer Rechtslage gegeben (4 Ob 125/18p).

Der Oberste Gerichtshof geht unter Hinweis auf seine

bisherige Judikatur auch in seinen jüngsten Entscheidun- gen davon aus, dass das im GSpG normierte Monopol- bzw Konzessionssystem bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen (insbesondere der Werbe- maßnahmen der Konzessionäre) auf dem Glücksspielmarkt al- len vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts ent- spricht (1 Ob 229/20p, 3 Ob 72/21s, 3 Ob 106/21s, 5 Ob 30/21d, 9 Ob 20/21p).

Die von der Berufungswerberin zitierte Entscheidung des EuGH vom 18.5.2021, C-920/19 (Fluctus/Fluentum), än- dert an der Beurteilung nichts. Der EuGH bestätigte seine bisherige Rechtsprechung zu den Grenzen der Zulässigkeit wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen. Er ging davon aus, dass für die Prüfung der Kohärenz einer expansiven (Wer-

 

be-)Politik des Monopolisten auch Umstände wie aggressive Werbemaßnahmen privater Anbieter zugunsten rechtswidriger Aktivitäten oder die Heranziehung neuer Medien wie des Internets durch private Anbieter zu berücksichtigen seien und eine Inkohärenz von das Glücksspielangebot beschrän- kenden Maßnahmen nicht allein deshalb anzunehmen sei, weil die Werbepraktiken des Monopolisten darauf abzielen, zur aktiven Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa in- dem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewin- ne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird (Rn

52 f). Diese Entscheidung wurde bereits in den Entschei-

dungen des Obersten Gerichtshofes 1 Ob 229/20p und 9 Ob 20/21p berücksichtigt und ändert nichts an der bisherigen Rechtsprechung.

Das Berufungsgericht schließt sich den überzeugenden Argumenten der zitierten höchstgerichtlichen Entscheidun- gen an. Das österreichische GSpG verstößt nicht gegen EU- Recht. Die Berufungswerberin vermag nicht konkret darzu- legen, weshalb die bisherige und aktuelle höchstgericht- liche Judikatur nicht mehr zu berücksichtigen sei. Ein konkretes Tatsachenvorbringen in erster Instanz über eine grundlegende Änderung der Praxis oder sonstiger Änderun- gen von wesentlichen Umständen wurde nicht erstattet. Die begehrten Feststellungen sind einerseits zu unbestimmt und andererseits mangels Änderung zu den bisherigen Ent- scheidungsgrundlagen nicht geeignet, von der aktuellen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abzugehen.

Gegen die zutreffende Beurteilung des Erstgerichtes,

dass die Spieleinsätze aus einem verbotenen Glücksspiel

 

zurückgefordert werden können (RS0025607 [T1]), wendet sich der Berufungswerber nicht.

Der unberechtigten Berufung ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision gründet sich auf § 502 Abs 1 ZPO, weil eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu lösen ist und das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht abweicht.

Rechtsfragen in der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität waren nicht zu lösen.

 

Landesgericht für ZRS Wien 1011 Wien, Schmerlingplatz 11

Abt. 64, am 18. Februar 2022 Mag. E d e r

elektronische Ausfertigung gemäß § 79 GOG